Zarah Leander auf dem Rummelplatz

Hubl Greiner liebt's leger: Er bedient sein Drum-Set mit weit ausholenden Bewegungen, hingeschmiegt wie auf der Wohnzimmercouch. Doch manchmal atmet er tief durch, scheint sich geradezu überwinden zu müssen, seinen geradesten Takt zu schlagen. Dann haben seine Mitmusiker Rupert Volz und Therofal Gitarre und Elektrobaß umgeschnallt und geben den Ton für etwas an, das junge Leute wahrscheinlich "HardcoreSpeed-Trash", jedenfalls Punk nennen würden. Eine Verbeugung vor dem Rock'nRoll. Schließlich hat es Buddy Holly und Eddie Chochran wirklich gegeben.

Doch die tatsächliche Identität von "The Blech" ist irgendwo zwischen Hardbob und Free Jazz zu suchen. Obwohl sich das Trio der Formensprache des Rock bedient, bewegt es sich in der Sphäre avancierter Klangfindungen. Die Kombination ungewöhnlicher musikalischer Traditionen und phantasievolle, neue Tonschöpfungen verleihen "The Blech" das seltene Zugeständnis, wirkliche musikalische Innovationen zustande zu bringen. Die Gruppe bedient sich dabei nahezu lexikalischer Akribie, wenn es darum geht, fremdländische musikalische Erfahrungen in modernsten Sound umzuformen. Die Ethnologen der bundesdeutschen IndependentSzene verbinden arabische Anklänge mit Tango-Versatzstücken, Marschmusik mit fernöstlichen Gebetsriten. Rupert Volz' schneidende Stimme schrillt wie der Schrei des Muezzins oder das Gebet eines buddhistisehen Mönches.

Als Basis dient den Musikern dabei ein jazzmäßiger Puls. Was Musiker und Zuhörer spüren, ist wichtiger als das, was sie hören. Jenseits des geschlagenen Taktes baut sich ein gefühltes Kontinuum auf, das dem Trio die Freiheit verleiht, sich weit vom hörbaren Metrum zu entfernen. Das geht soweit, daß sie in freien Passagen plötzlich eine Phrase aus "My Fair Lady" zitieren, um solch bürgerlichen Kulturausdruck postwendend mit harschem Lachen zu zerstören.

"The Blech" reiste durch viele europäische Länder, von einem Avantgarde-Festival zum anderen, spielte dabei mit den innovativsten Vertretern der aktuellen Szene und engagierte sich schließlich - und dies mag vielleicht am wichtigsten sein - auf Festspielen der Bildenden Kunst, wie der vergangenen "documenta" in Kassel. Das Attribut "Kunst" steht dann auch als zutreffende Beschreibung jener Umgebung, in der die neuartigen Collagen und Tonschöpfungen ihren Platz finden. Hier entsteht gestalteter Klang, mithin eine GegenNatur, die in scharfem Kontrast zu vorgefundenen Werten steht.

In diesen Kontext paßt denn auch die Instrumentierung. Sie konfrontiert die traditionelle Trompete mit allerlei elektronischem Gerät. Es wäre den Multiinstrumentalisten sicher ein leichtes, noch ein Akkordeon auf die Bühne mitzubringen, doch unterstreicht die Tonbildung per Synthesizer noch einmal den absichtsvollen Charakter dieser Musik.

Ähnlich verhält es sich mit den Texten: Wem erschlösse sich schon der Sinn von Worten wie "Remütee", "Rink Mink" oder "Krusan"? Den Liedtiteln ist vielmehr eine atmosphärischen Schilderung eigen. Kreativer Ausdruck findet sich im völlig neu Erfundenen. Trotzdem bleibt hier nichts abstrakt. Stets wechseln sich die verschiedensten Bezüge miteinander ab. "Papa pinkelt, Mama pinkelt, Uschi pinkelt: Und die Welt dreht sich". Dies ist mit Emphase vorgetragen, kommt direkt vom Jahrmarkt oder aus dem Kintopp. Mit weit ausgebreiteten Armen wirft Rupert Volz die Zeilen über die Rampe, als lebe in ihm das fatal-dekadente Ego einer Zarah Leander weiter.

"The Blech": Das ist eine bunte, humorvolle, virtuose, kompetente Rummelplatz-Attraktion. Statt einer Dame ohne Unterleib taucht der Gast ein in die Ton-Welt kreativer Großmeister, denen kein Klang dieses Globus verborgen blieb. Ob der Synthesizer oder die Spielzeugflöte den Ton angibt: Hier gibt es Weltmusik mit einem festen Standpunkt zu hören. Hereinspaziert in den Musik-Planeten!

S. Dudek

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