Tönende Exzesse

...Lauschangriffe" von "The Blech" und anderen in der Nürnberger Desi

"Die Macht der Narren" hieß das Motto einer langen Nacht der Reihe "Lauschangriff" in der Nürnberger Desi, und erklärtes Ziel war es,"den breiten Hintern der Bürger mit wahrem Sprengstoff zu versorgen" - musikalischem, versteht sich. Heitere Aussichten! Das Programm verhieß dazu "kreischende und zirpende Klanggewitter", die Entfesselung des "miesen Seins" und tönende Exzesse im irrwitzigen Spiel dreier Gruppen, die bei Szene-Spezialisten bestens bekannt sind: "Blurt", "The Blech" und "Stan Red Fox". Eine Weile mußte man sich im rauchigen und überfüllten Desi-Foyer die Beine in den bürgerlichen oder nichtbürgerlichen Bauch stehen - doch nach angemessener Verspätung konnte das unorthodoxe Adventsspektakel dann losgehen.

Für ein musikalisches Ereignis sorgte das Quartett "The Blech", das mit seinen zeitgenössisehen Mini-Hördramen bei Anhängern der Rock- und Jazz-Avantgarde schon viel von sich reden gemacht hat. Mit ihren Text-Musik-Geräusch-Inszenierungen scheinen die vier in die Fußstapfen der englisch-deutschen Artrockband "Cassiber" zu treten.

Sänger Rupert Volz mit seiner Sträflingshaartracht agiert auf der Bühne wie vom Erdbeben geschüttelt und singt mit schneidend scharfer Stimme kunstvoll Verrücktes: verwegene Schmettertenor-Passagen, verquere Jodler, Obertongesänge nach buddhistischer Mönchsmanier und witzige Schlagerschmalz-Reminiszenzen. Ein genialer Dilettant? Nichts da, Volz ist ausgebildeter Sänger.

Was die Band mit verfremdeter Geige, Keyboards, Schlagzeug und Minitrompete zuwege brachte, war schlichtweg packend, ob nun die Vertonung eines Heinrich-Heine-Gedicht ("Die einsame Träne") als grandiose Leier-Arie oder Ernst Jandls "Der zertretene Mann Blues" (über jemanden, der die Hand nicht hob zum NaziGruß) als ungemein dichtes, anspielungsreiches Hör-Szenarium. Und live fesselt das Ganze noch weit mehr als auf Platte.

Die anderen Bands der Ohrattacken-Nacht blieben ziemlich hinter "The Blech" zurück. "Stan Red Fox", ein Trio mit stilisiertem Ekelburschen-Image, servierte Dada-Punk, zerkreischte Balladen, zerstobenen Hardrock, gerülpsten Funk und kracherten Garagenswing mit schöner Präzision, Witz, verschlüssiglten Texten und gebührender Aufdringlichkeit, aber wenig Ausstrahlung.

Und um Mitternacht kam die Kultfigur des Programms: Ted Milton mit seinen zwei Begleitern (zusammen heißen sie "Blurt"). Geister konnte er jedoch nicht unbedingt wecken. Milton blies zickig-befremdliche Saxophon-Schrillheiten und schicke mit dämonischem Raunen rätselhafte Botschaften ins Publikum. Eine interessante Musikgewohnheiten-Aufstörung war die Lauschangriff-Nacht jedoch allemal. Für Nachholer: Die drei beteiligten Gruppen haben bei dem unabhängigen HEUTE-Labei in Kempten Schallplatten veröffentlicht.

Rudi Spiegel

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