The Blech - The Blech

Reden...

Da fliegt dir doch eben jenes weg, das ist doch, aber hallo. Blecherner Noise-Funk, schräg und kratzig, mit eminentem »drive«, wie man hierzulande sagt. Freejazzige Bläser auf schweren Beats leiten wohlklingende KeyboardSounds ein, der »weiß-Gottnicht-jedermanns-GeschmackGesang«, melodisch und rauh, rockige Gitarrenriffs - das ist z.B. »Pypl Garda« auf Seite zwei der ersten LP von »THE BLECH«.

über...

ist das die Antizipation einzelner Töne des lang ersehnten nächsten Akkords in der musikalischen Phylogenese? Womöglich Ausblick auf die utopische Versöhnung zwischen Klang und Geräusch als integralem Bestandteil breitester gesellschaftlicher Emanzipation? Werden die Verhältnisse nach diesem Metrum tanzen, das notwendig die Aufgabe der Vermittlung übernimmt, das nicht Erziehung, sondern Bildung, also »Ungleichheit für alle« (Heydorn) ist?

Musik...

Nein, »THE BLECH« nimmt nichts vorweg, Rupert Volz, Hubl Greiner und Therofal nehmen auf, was andere vorbereitet haben, beschreiten die abseits vom asphaltierten Freeway der »mittlere(n) Kultur des Musikalischen« (Adorno) geschlagenen Pfade. Dort haben vorher der Free-Jazz, Punk, experimentelle Geräuschmusik (eine unvollständige Aufzählung) ihre Spuren hinterlassen.

Namen drängen sich auf, Adrian Belew etwa, dessen Gesangsstil dem von Rupert Volz sehr nahe kommt, aber bei weitem nicht so vielfältig entwickelt ist, wie bei dem »BLECH«-Vokalisten: Er läßt orientalische Elemente einfließen, wendet sich Al Jarreaus Vokalspielereien zu, erweitert sie oder deklamiert in holzigen Chorälen dem Dada-Dichter Hugo Ball gewidmete Phantasietexte.

Mehr dem Jazz verhaftet bleiben seine Motive, wenn er zur Trompete greift; verbindlich dabei ist die Kohärenz der vielschichtigen Klanggeflechte insgesamt, nicht die tonale Gesetzgebung. Das gilt für die Band überhaupt. Hubl Greiners klare percussiven Entwürfe - auch hier werden Assoziationen an Meilensteine der Musik, etwa David Byrnes und Brian Enos »My life in ihe bush of ghosts«, wach - bilden einen klaren, exzessiv genutzten Rahmen für zahlreiche harmonische Eskapaden und Geräuschminiaturen von Keyboards, Gitarren und Tapes.

Der eng an die rhythmischen Vorgaben angelehnte Bass unterstreicht mit nach vorne gerichteten, treibenden Betonungen die beständige Unruhe in den Kompositionen; überprüft man dessen Diktion auf ihre Herkunft, bleibt im zehnten Jahr danach die Erkenntnis: Nicht bloß Jazz und Funk, auch Punk ist mittlerweile Tradition. Neben den beiden Multiinstrumentalisten Greiner und Volz wirken bei der Gruppe noch Therofal (Bass, Gesang, Computer) und zahlreiche Gastmusiker mit, unter anderen die kurdische Sängerin Delal. Der Bezug auf unterschiedliche kulturelle und musikalische Traditionen ist wesentlicher Bestandteil des »BLECH«Konzepts.

»Unsere Musik ist eine Parodie auf das Leben hier und jetzt. Eine Musik, die von Verbindungen lebt und in keine Norm paßt. Eine harte Musik, die die Realität zeichnet und Abstraktionen hervorruft. Eine Musik, in der sich unser anarchistischer Humor widerspiegelt. Wir wollen eine Verbindung aus Agressivität und Schönheit herstellen«. (Hubl Greiner)

Ist...

Also eine ganz dem Jetzt verhaftete Musik, ohne antizipierenden Anspruch, ohne Inanspruchnahme der Zukunft, nur der Vorbereitung assoziativen Handelns und Hörens verpflichtet?

»THE BLECH« sammelt, vermengt, synthetisiert, hofft auf Verbindungen, die selbständig reagieren, explodieren, Wirkung zeigen. Vielleicht ist gerade die vom unbedingten Drang nach Innovation freie Risikolust entscheidende Voraussetzung für findendes Bewußtsein in der Musik. Das löst die Verwendung bereits vorhandenen Materials aus dem Stigma des schon Dagewesenen heraus, macht das Zitat produktiv, verwendbar.

»Agressivität und Schönheit« klarer und offener können die Pole, zwischen denen diese Gruppe pendelt, nicht beschrieben werden. Die Agressivität ist reflexiv, nicht blind der bloßen Entladung verpflichtet, kontrolliert und produktiv.

Harsche Geräusche stehen im Diskurs mit akkustischen Schönheiten, der Dissenz ist konstitutiv, offenbart Genuß, fordert rationale Anstrengung, ist in jeder Phase plausibel. Undogmatisch im besten Sinne forschen die »BLECH«-Musiker nach einer musikalischen Kultur des Widerspruchs, der sich vermittelt und nicht Zuflucht in der Entfremdung sucht - eine permanente Herausforderung an die Avantgarde.

BLECH...

Diese LP braucht man nicht als revolutionär zu bezeichnen. Sie ist es nicht. Trotzdem kommt dem nun vorgelegten Produkt eine große Bedeutung zu: Das »fortschreitende« Schöpfen aus musikalischen Traditionen mit einem solch hohen Maß an intellektueller Experimentierfreude und gleichzeitiger Zugänglichkeit - betreibt in der Bundesrepublik gegenwärtig (vielleicht Cassiber noch) niemand so gut wie »THE BLECH«. Sie decken eine schmerzliche Lücke auf.

Den Mangel an innovativen Impulsen auszumachen, dazu bedarf es nicht sehr viel. Manch ein Kritiker macht es sich da zu leicht und den Musikern noch schwerer. Gerade deshalb ist es notwendig, für jene Gruppen sensibel zu sein, die zwischen herrschenden Hörgewohnheiten und akustischen Provokationen vermitteln können, ohne den hegemonialen Tendenzen der einen oder anderen Seite zu unterliegen. Die Gehörbildung, die »THE BLECH« betreibt, steht im Widerspruch zur Herrschaft beider Blöcke. Sie ist aufklärerisch.

H. Möhrle 1987

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