Die futuristischen Traditionalisten

Der Schlagzeuger trägt Sonnenbrille, auf einem schwarzrot-gold gestreiften Herrenhemd eine diametral entgegengesetzt gemusterte Weste, sein Lächeln trieft schmalzig, die Bewegungen sind kantig. Am E-Bass hampelt ein verhinderter Rock'n Roller herum. Den voluminösen Herrn am rechten Rand ziert ein klassischer Anzug, er vertauscht Funktion und Handhabung seiner instrumentalen Bestandteile: Auf einem statisch gehaltenen Bogen streicht er seine Geige hin und her, rauf und runter. Hinter dem Euphonium grinst endlich auch ein weibliches Gesicht hervor, nimmt sich galant, aber bestimmt ein Stück vom Aktionsradius des neben ihr tobenden, singenden Derwischs.

Alles Schwindel?

»Ich bin mit bayrischer Volksmusik aufgewachsen und ich glaube, daß die ersten Jahre deiner Kindheit entscheidend sind. In deinem Verhalten als Mensch anderen Menschen gegenüber, dir selbst gegenüber, aber auch in deinem Ausdruck als Musiker oder Bauarbeiter.« Hubl, einer der beiden Gründer der seit 1985 in mutierenden Besetzungen existierenden The Blech, zeigt mit derartigen Statements dem Fach- und Avantgardepublikum seine kühle Schulter.

Daß aber auch ein eingefleischter Bayer den Rest der Welt kennen kann, diesen lebenden Beweis liefert der eigenwillige, dynamisch-disziplinierte Drummer gleich mit. »Unsere Musik ist eine Parodie auf das Leben ... eine harte Musik, die die Realität zeichnet und Abstraktionen hervorruft.«, schrieb der Produzent, Multiinstrumentalist, Komponist, Lautdichter und Menschenfreund bereits in einem 1986, anläßlich ihrer ersten LP The Blech, erscheinenden informationsblatt.

»Uneitle Virtuosität« bescheinigte die Augsburger Allgemeine der Veröffentlichung; das Jazzpodium empfahl die »... gelungene Synthese aus Erfindergeist und Spieltrieb, Phantasie und ethnischem Spürsinn«; in der FAZ wurde die Scheibe zum Geheimtip geadelt.

Alles Schwachsinn?

Aus einem schaurigen Tango wird ein orientalisch angehauchter Bierzelt-Hit, treibende Beats fallen in ein Glas Champagner und tauchen als Roundabout wieder auf. Tradition und Moderne gehen eng umschlungen auf dem Jahrmarkt der Stile spazieren; Jahrzehnt um Jahrzehnt zieht die Musikgeschichte flanierend an tanzwilligen Kopffüßlern und undogmatischen Zaungästen vorbei.

I put my finger in your skeleton, Iput my finger in your into singt DER VOLZ zu einem davongaloppierenden Schlagzeug und einer romantischen Geige, wirft dabei die Beine weit von sich. Kaum hat der ungewöhnliche Stimmakrobat Luft geholt, da sitzt auch schon das Mundstück einer spanischen Trompete auf seinem Schlund und zitiert das eben gehörte in einer nervös vibrierenden Fassung noch einmal herbei.

Die deutsch-englisch-lautmalerischen Wortgebilde, die er der blechspeziellen Mischung aus Jazz, Rock, Chanson, Noise, Volks- und Tanzmusik jeder Nationilität überstülpt, sind seine ureigenste Form des Ausdrucks - und doch direkte Nachfahren der seltsamen Songs eines Kurt Schwitters oder der Poesie eines Hugo Ball. Folgerichtig vertonte er zusammen mit seinem kongenialen Pendant Hubl schon vor Jahren die zwei Originallautgedichte des Dadaisten, "Seepferdchen und Flugfische".

Alles Scherben?

»Wie Blech früher war, da wär ich nicht dabei gewesen ... « Die diszipliniertere Songform, die verzinkt-verzahnten Arrangements, die sich im Lauf der Jahre entwickelt haben, konkretere Vorstellungen von der Charakteristik der Musik, Shirley Hofmann weiß, wovon sie spricht. Die in Kanada geborene, studierte Musikerin und Komponistin hat kommerziellere Ecken des Marktes schon ausgeleuchtet. Mit der Bayerischen 7, einer siebenköpfigen, weiblichen Blaskapelle, sorgte sie für Unterhaltung in Bierzelten und auf Fernsehbildschirmen.

»Was passiert, wenn sieben Frauen in Bayern in ein Bierzelt kommen und spielen? Das ist interessant!« Durch ihre böhmischen Eltern den Traditionen volksnaher Blasmusik durchaus verbunden, wiedert sie allerdings der Rest der dazugehörigen Szenerie an. Acht Instrumente und ihren Gesang setzt die besonders dem Euphonium verbundene Musikerin bei The Blech ein, ihr distanzierter Charme, ihre Erfahrungen als Tambourmajor in einer Marchingband komplimentieren die Choreographie ihres Auftretens.

Alles Show?

Mit Plattendealern laufen Verhandlungen. Eine Sparte "Skrupellose Musik" soll für die bislang fünf Scheiben (inclusive einer Compilation) von The Blech geschaffen werden, andere, geistesverwandte Werke sind dort ebenfalls willkommen. »Es ist ja nicht so, daß wir es gewohnt wären, Schlager oder Volksmusik oder was immer zu spielen. Wenn irgendeine Stilistik auftaucht, dann ist die eigentlich nur als Gedanke, als Aura da.

Das heißt, wir müssen uns das in irgendeiner Weise aneignen. Was rauskommt, ist automatisch gefärbt durch die jeweiligen Persönlichkeiten, dadurch kriegt das dann diesen typischen Klang, den Blech hat. HB-W - auch in Großbuchstaben - Geiger mit ad acta gelegten Lehraufträgen all der Hochschule für Musik in Karlsruhe und Nebentätigkeiten im improvisierten Klangbereich, hat für zusätzliche harmonische und melodische Höhepunkte gesorgt.

Die 1992 erschienene CD Liebeslieder, die im April auf dem japanischen Markt erscheinen wird, macht seinen Einfluß hörbar. In Polen gibt es bereits mehrere Bands, die nur Blechsongs spielen, in Russland werden sie gefeiert von einem der populärsten Radio-Musikredakteure. Seine Sendung, die regelmäßig von 7 Millionen Menschen gehört wird, hat dort ebenfalls Bands inspiriert, Songs der Bayern zu covern.

Alles Schwindel?

Anna Bianca Krause

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